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BVerfG: Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen das Gesetz zur Tarifeinheit vom 3. Juli 2015 abgelehnt


Pressemitteilung Nr. 05/2015 vom 06.08.2015BVerfG, Beschluss vom 06.10.2015 - 1 BvR 1571/15, 1 BvR 1582/15, 1 BvR 1588/15:

Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 06.10.2015 die Eilanträge (1 BvR 1571/15, 1 BvR 1588/15, 1 BvR 1582/15) auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen das umstrittene Tarifeinheitsgesetz (TarifEinhG) abgelehnt.

Für die Außervollzugsetzung eines Gesetzes gelten besonders hohe Hürden. In den vorliegen Fällen hat das Gericht keine gravierenden, irreversiblen oder nur schwer revidierbaren Nachteile festgestellt, welche den Erlass einer einstweiligen Anordnung getragen hätten.

Nun folgt das Hauptsacheverfahren, deren Ausgang offen ist.

Das Bundesverfassungsgericht sieht in dem angegriffenen Tarifeinheitsgesetz bisher keinen Ausschluss der Koalitionsfreiheit, sondern nur eine Schwächung der Verhandlungsmacht der Gewerkschaften durch eine Kollisionsregel im neuen Tarifeinheitsgesetz.

Orientierungssatz:

1a. Soll der Vollzug eines Gesetzes einstweilen ausgesetzt werden, so ist an die Beurteilung der Voraussetzungen des § 32 Abs 1 BVerfGG ein besonders strenger Maßstab anzulegen (vgl BVerfG, 11.11.1953, 1 BvR 444/53, BVerfGE 3, 41 <44>; BVerfG, 22.05.2001, 2 BvQ 48/00, BVerfGE 104, 23 <27 f.>). Um das Aussetzungsinteresse durchschlagen zu lassen. ist von entscheidender Bedeutung, ob die dem Antragsteller drohenden Nachteile irreversibel oder nur sehr erschwert revidierbar sind (vgl BVerfG, 03.05.1994, 2 BvQ 3/94, BVerfGE 91, 70 <76 f>), (Rn.13)

1b. Der Erlass einer eA käme hier etwa dann in Betracht, wenn absehbar wäre, dass den Beschwerdeführern bei Fortgeltung der angegriffenen Vorschriften bis zur Entscheidung in der Hauptsache das Aushandeln von Tarifverträgen längerfristig unmöglich würde. Eine eA könnte dann geboten sein, wenn sich die Fortgeltung der angegriffenen Regelungen bereits so auf den Mitgliederbestand einer Gewerkschaft auswirkte, dass ihre Tariffähigkeit in Frage stünde. (Rn.15)

1c. Zur Möglichkeit, bei einer erheblichen Änderung der tatsächlichen Umstände einen erneuten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu stellen, vgl BVerfG, 10.05.1994, 1 BvR 1534/92, BVerfGE 91, 83 (91), sowie zur Möglichkeit des Erlasses einer eA von Amts wegen siehe vgl BVerfG, 13.11.1951, 1 BvR 213/51, BVerfGE 1, 74 (75). (Rn.22)

2. Hier:

2a. Die Verfassungsbeschwerden sind weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet. Insb ist nicht offensichtlich, dass eine Verletzung der durch Art 9 Abs 3 GG geschützten Koalitionsfreiheit ausgeschlossen werden könnte. (Rn.14)

2b. Eine einstweilige Aussetzung des TarifEinhG ist jedoch nicht geboten. Es ist derzeit nicht feststellbar, dass es bei Fortgeltung der angegriffenen Vorschriften bis zur Entscheidung in der Hauptsache zu gravierenden, nur schwer revidierbaren Nachteilen im dargelegten Ausmaß käme. (Rn.15)

aa. Dies gilt zum einen in Bezug auf Nachteile, die eintreten könnten, weil die gesetzlich angeordnete Tarifeinheit schon vor Eintritt des Kollisionsfalls Wirkungen entfaltet. Das angegriffene Gesetz untersagt nicht die tarifpolitische Betätigung an sich. Auch Minderheitengewerkschaften sind unter Geltung des TarifEinhG grds nicht gehindert, Tarifverhandlungen zu führen. (Rn.16)

Soweit es Arbeitgeber in Einzelfällen unter Hinweis auf das TarifEinhG verweigert haben, Tarifverhandlungen zu führen, oder Tarifverhandlungen abgebrochen haben, handelt es sich zwar um gewichtige Nachteile, die jedoch für den hier begrenzten Zeitraum noch hinzunehmen sind. Zudem besteht weiterhin die Möglichkeit, gewerkschaftliche Interessen im Wege des Arbeitskampfes einzufordern. (Rn.17)

bb. Es ist zum anderen derzeit nicht absehbar, inwieweit es im Zeitraum bis zur Entscheidung in der Hauptsache tatsächlich in einem Ausmaß zur Anwendung der Kollisionsregel des § 4a Abs 2 S 2 TVG kommt, der eine einstweilige Anordnung unabdingbar erscheinen ließe. Die Tarifvertragsparteien haben unterschiedliche tarifpolitische Möglichkeiten, das Auftreten des Kollisionsfalls zu vermeiden. (Rn.20)

cc. Schließlich sind jedenfalls für den Zeitraum bis zur Entscheidung in der Hauptsache auch keine existenzbedrohenden, irreversiblen Mitgliederbewegungen hinreichend konkret zu erwarten. Ebenso wenig ist hinreichend konkret erkennbar, dass das TarifEinhG die Gewerkschaften kurzfristig zu organisations- oder verbandspolitischen, existenzgefährdende Neuausrichtungen zwänge. (Rn.21)